INTERVIEWfür fgi news, „Lernen“
Ein Gespräch mit Dr. Heiko Röhl. Über das, was profitorientierte Organisationen (POs) von Non-Profit-Organisationen (NPOs) lernen können
Herr Röhl, Was ist eine NPO?
Eine NPO ist eine Organisation, die sich entschlossen hat, keinen Profit zu machen. Oder der es rechtlich nicht erlaubt ist.
Und eine Top-level-NPO?
Das ist zunächst mal eine, die sehr lange überlebt hat. Denn eins der wesentlichen Kriterien für die Qualität von Organisationen ist: Überleben. Eine Top-Level-NPO muss zudem eine Marke etabliert haben, die undiskutierbar „top level“ ist; also aufgeladen mit Werten von unhintergehbarer Qualität. Davon gibt es eine Reihe, etwa Greenpeace, Transparency International oder Amnesty International.
Was ich mit unhintergehbarer Qualität meine, ist: Wenn Amnesty International sich irgendwo einschaltet, dann weiß die Welt sofort: Es ist total ernst.
Ist das grosse Kapital einer NPO also ihr Markenkapital?
Das Kapital einer NPO ist auf jeden Fall ein komplett anderes als das einer PO, einfach weil ihr Geschäfts- und Existenzziel ein ganz anderes ist.
NPOs machen häufig den Fehler, sich über Fundingzahlen zu definieren – wahrscheinlich weil die Managementtheorien und –praktiken weltweit von POs erfunden worden sind, und die NPOs meinen, sie müssten sich exakt daran orientieren. Je mehr die NPO-Forschung sich aber entwickelt, desto deutlicher wird: Eins der wesentlichen Ziele von NPOs muss die Maximierung von Markenkapital sein. Also von reputatorischem Kapital. NPOs tun sehr gut daran, reputatorische Risiken zu meiden. Sie sind da viel anfälliger als POs. POs können sich unglaublich destruktive Aktivitäten erlauben, sie können sich selbst sozusagen reputatorisch zerschießen (Siemens), ohne dass die Organisation daran sterben muss.
Wie führt man eine NPO?
Führung in NPOs heißt zunächst mal: Steuerungsillusionen aufgeben.
NPOs definieren sich durch eine unglaubliche Fähigkeit, Ambiguität in ihrem Umfeld zu tolerieren. Bei einem derart komplexen Thema wie z.B. „Folter weltweit“ muss Amnesty International viele verschiedene Informationen erspüren, erahnen und in Signale umsetzen, die intern auch wirklich verstanden werden; dann müssen die Informationen in Wertschöpfung umgesetzt werden, also etwa: in Kampagnen; dann muss ein Monitoring dieser Kampagnen durchgeführt werden, man muss also prüfen, ob die Kampagne gelesen, beachtet, verstanden wird. Das ist eine unendlich komplexe Aufgabe. Die kann eine NPO nur lösen, weil sie nicht trivial organisiert ist; weil sie die gleiche Komplexität, die draußen „in der Welt“ herrscht, auch drinnen in der Organisation hat.
Für Führungskräfte bedeutet das: Sie müssen das eigene Wissen spezifizieren können. Sie müssen sagen können, was Sie nicht wissen. Inkompetenz-kompensationskompetenz, sozusagen.
Was ist noch wichtig, um eine NPO zu führen?
Extrem wichtig ist, die oft total unterschiedlichen Stakeholder/ Interessengruppen im Umfeld zu verstehen, ernst zu nehmen und rein zu lassen in die Wertschöpfung. Das heißt: Man muss mit Sinnstiftungsuniversen jonglieren können. Morgens ein Gespräch mit einem Mäzen, mittags Schwierigkeiten innerhalb einer Künstlergruppe aus dem Weg räumen und nachmittags im Künstlerverband Brandenburg Meinungsvertretung machen. Da kommt, in Bezug auf Komplexitätsmanagement, kaum ein PO ran.
Sind POs einfacher zu managen?
Ja, weil sie dort Sinnstiftung und Komplexitätsreduktion über eine Zahl haben. Wenn Sie bei Daimler einen Raum betreten und „46“ sagen, dann weiß jeder, was gemeint ist.
Der Aktienkurs?
Klar. POs haben ihre Zahl. Die Zahl, an der Sie eine Sendeanstalt messen, ist die Einschaltquote. Am Montag Morgen sagen Sie: 35% - keine weiteren Fragen.
NPOs haben dieses Einfache nicht?
NPOs sind nie da, kommen nie an. Sie müssen ihren Existenzgrund immer wieder neu verhandeln. Sie müssen fähig sein, den Diskurs, der in der Organisation herrscht, zu unterstützen und nicht zu deckeln.
Noch mal etwas direkter gefragt: Was können POs von NPOs lernen?
Gesamtgesellschaftlich betrachtet: einen größeren Kreis um den eigenen Laden zu ziehen. Denn es ist doch so: Der Held wird immer aus unerwarteter Richtung erschossen. Im Moment ist zu beobachten, dass viele POs aus Richtungen Probleme bekommen, die sie nicht erwartet haben. Das betrifft Umfeldentwicklungen wie steigende Ölpreise bis hin zu politischen Rahmenbedingungen, die den Firmen ihr Wirtschaften vermiesen.
POs können von NPOs lernen, dass sie Gesellschaft verstehen müssen, um ihren Platz a) zu finden und b) diskursiv zu verhandeln. Das machen NPOs.
Ein Beispiel, nochmal Amnesty International. Die machen gerade eine Riesenkampagne gegen China. Intern sind, bis es zur Kampagnenumsetzung kommt, unendlich komplexe Abstimmungsprozesse gelaufen. Jede kleine Neuigkeit zum Thema Chinaumfeld, Olympia, Menschenrechte etc. wird von AI verstanden und rattert durch ein hochkomplexes System bis zu dem Punkt, an dem der sitzt, der die Kampagne definiert. Davon können POs viel lernen.
Was noch?
Leidenschaft. Markenleidenschaft, wenn man so will. POs müssen Leidenschaft oft artifiziell in die Mitarbeiter pumpen. Oder sie kommen mit einer „Imcentive Kultur“ oder so etwas. POs können von NPOs lernen: Authentizität im Andocken des Individuums an die Marke. Verbindung der individuellen Wertschöpfung mit der Wertschöpfung der Organisation und dem großen Ganzen. POs könnten wirkliche Weltfirmen mit guten Weltbürgern als Mitarbeitern werden werden. Dafür dürfen sie aber Kinder nicht ausbeuten. Erst dann könnten Sie ihren Mitarbeitern auch mehr anbieten als Marken- und Wertesplitter. Sportmarken z.B. könnten einfach den zentralen Wert ihres Bereichs, Fairness, wirklich ernst und in Strategie und Produktion aufnehmen.
Also nicht Corporate Social Responsability als Show – sondern, Achtung, großes Wort: in die Wertschöpfung eingebettetes Weltbürgertum. Das muss man NPOs nicht erklären. Das ist für die selbstverständlich.
Bei den NPOs ist also alles gut, die machen alles richtig?
Natürlich nicht. Dämpfer kriegen man auch bei den NPOs genug, nach dem Motto: „Ich dachte, ich könnte was Gutes für die Welt tun, jetzt muss ich das Formular hier ausfüllen.“ Aber NPOs machen den Menschen die Leidenschaft nicht kaputt, POs oft schon. Bei NPOs können Sie durch die Nebelwand der Regeln rausschauen auf den Menschen, der sich jetzt nicht mehr mit AIDS ansteckt, weil Sie etwas für ihn getan haben.
Wenn das keine Sinnstiftung ist, dann weiß ich es auch ich nicht.
Kann man sagen: Je komplexer und unübersichtlicher die politischen und gesellschaftlichen Umfelder von POs werden, desto mehr können sie von NPOs lernen?
Ja, weil Unübersichtlichkeit der Job von NPOs ist. Die haben viel höhere Freiheitsgrade für die Absorption von Ambiguität und Komplexität.
Sie sagen: NPOS bevorzugen ganz andere Arten/Stile der Kommunikation? Welche und warum?
POs bevorzugen gerichtete Führungskommunikation. Kommunikation dient dem Ziel, Umsatz zu machen und ist an die Kern- und Unterstützungsprozesse der Wertschöpfung heran- und herumorganisiert. Klar gibt es mittlerweile auch Verbesserungen, Qualitätszirkel und neue Bottom-up-Feedbackprozesse usw. Aber zunächst mal ist Kommunikation in POs immer auf Gewinn/Verlust orientierte Kommunikation.
Nicht offen genug?
Offen schon, aber eben nur im Rahmen von Märkten und Kunden. Da interessieren bestimmte gesellschaftliche Fragen nur mittelbar. Viel wichtiger etwa als Diskurs oder Dialogfähigkeit ist Entscheidungsfähigkeit.
Das Urteilenkönnen über die Qualität eines Produkts, über die Geschwindigkeit eines Durchlaufs, einer bestimmten Dienstleistung, über Kosten ist ganz wichtig, eine der zentralen Kompetenzen von Mitarbeitern in höheren PO-Ebenen bei POs. Beim BA in der Business School lernt man im Grunde nichts anderes als: Urteilen über organisationale Wertschöpfung: zu schnell, zu langsam, nicht richtig aufgestellt.
In NPOs ist Urteilen, sind Entscheidungen dagegen ein Riesenproblem. NPOs halten Entscheidungen sehr lange offen und entscheiden sehr spät, um sicher zu sein, dass bis zum Schluss alles an Wissen und Information da ist. POs machen das anders, sie entscheiden sehr früh, damit Kosten, die beim Offenhalten entstehen würden, vermieden und wegentschieden werden. Und sie revidieren diese Entscheidungen auch nicht.
NPOs sind eher wie ein Schwarm voll Informationsbits und –bytes, die sich letztlich meist doch in die „richtige“ Richtung bewegen.
in NPOS sind also echte Dialoge möglich?
Auch dort gibt es natürlich die um Wertschöpfung herum gezirkelte Kommunikation. Aber NPOs haben, durch den weiteren Kreis, den sie ziehen, auch eine größere Bandbreite des Thematisierbaren. Was intern übrigens häufig zu Komplexität nahe am Kollaps führt.
Themen wie z.B. „Armut in Nicaragua“ sind so ultrakomplex, dass sie von einem Individuum allein gar nicht verstanden werden können. Da müssen alle teilhaben. Denn diese Themen sind so beweglich und dauernd in der Veränderung begriffen. Es gibt einen Fluss in diesen Themenumfeldern, der vom Kommunikationsfluss in der Innenwelt der NPOs irgendwie in Resonanz, in ein Verhältnis gebracht werden muss. Das macht Kommunikation in einem NPO so unglaublich komplex; aber auch so fähig, Lösungen in ihrer Komplexität an die „Außenwelt“ anzupassen.
Das geht ohne exzellente Dialogkultur gar nicht.
Partizipatiion ist also etwas, das NPOs besonders gut können – und wo POs Nachholbedarf haben.
Ja, und natürlich haben das die kleinen, echten, gemeindebasierten NPOs, die Grassroots sozusagen, richtig gut drauf. Da geht es darum, gemeinsame Entscheidungen in langen Sitzungen, in denen wirklich jeder gehört wird, zu fällen. Sie kennen vielleicht die Togunas, Palaverhütten auf Mali, sehr niedrig, sehr eng – da darf die ganze Gemeinde am Palaver teilnehmen, wenn es um Wichtiges geht. Zentral bei dieser Art des Zuhörens ist, das eigene Urteil auszusetzen und sich anzuschließen an das, was da entsteht. Wenn Sie das mal versuchen, bei einem Meeting hier bei uns, zu einer bestimmten Fragestellung, und sich alle mal ein Urteil ersparen, dann werden Sie feststellen, dass irgendwann etwas im Raum steht, das so niemand gesagt hat: etwas Größeres, Transzendierendes. Ein wirklich schönes Palaver führt dazu, dass das, was da gemeinsam entsteht, dazu führt, dass alle wissen, was zu tun ist, ohne dass einer eine Entscheidung gefällt hat. Total faszinierend.
Also: Urteile aussetzen, verstehen, zuhören, das ist etwas, was NPOs tendenziell besser können als POs. Das hat vielleicht den negativen Effekt einer Konsenskultur, von immensen Schleifen, aber es hat eben auch etwas stark Produktives. Auf strategischer Ebene passiert das in POs viel zu wenig.
Sie haben im Themenumfeld von Wissen und Führung ja den begriff des Kontextgestalters eingeführt. Was ist das? Und müssen Führungskräfte Kontextgestalter sein?
Absolut. Zunehmend. Denn wenn man es erst meint, muss man sagen: Management ist heute immer Veränderungsmanagement. Ein Aufgreifen der systemischen Drift und ein Lenken sich einer sowieso ergebenden Veränderung. Das heißt: Führungskräfte müssen die Fähigkeit zu haben, das, was sie sehen, zu verändern. Kontexte zu schaffen, zu gestalten. Den Rahmen dafür zu zimmern, dass die Potenziale, die Menschen und Organisationen haben, ausgeschöpft werden. Es geht um strukturelles Definieren von Verhalten. Darum, dem Einzelnen zu ermöglichen, zu lernen, sich Wissen anzueignen, aber auch z.B. Wissen zu verteilen. Dafür muss der Kontextgestalter Wissensverteilung in der Haltung möglich machen. Er muss Regeln für Wissensorganisation erfinden. Z.B. Redlichkeit im Umgang mit dem Wissen von anderen. Korrekt zitieren. Wissensdiebe bestrafen. Den Namen desjenigen auf die Powerpoint schreiben, der sie sich ausgedacht hat.
Der Kontextgestalter schafft Strukturen und Kontexte, die das Wissen einer Organisation abbilden. Wie das Wissen fließt, so sollte die Organisation gebaut sein.
Lernen Sie eigentlich gern?
Total gern.
Von wem am meisten?
Ich lerne extrem viel von meinen Kindern. Meine Tochter ist 5 und mein Sohn ist 3, die sind gerade dabei, sich ihre Welt-Referenzsysteme aufzubauen: Was ist gut, was ist richtig, was ist schön, wie funktioniert was? Wenn ich was erkläre, muss ich zwangsläufig meine eigenen Referenzsysteme überprüfen. Man erzählt sich ja alles noch mal selbst, was man den Kindern erzählt, und merkt, was für unzureichende Hypothesen und Theorien man über die Welt hat.
Dann lerne ich natürlich auch viel von meinen Mitarbeitern hier, und von Kunden. Ich hake sehr systematisch da nach, wo mir etwas nicht gefällt oder weh tut. Ich folge dabei so einer Art brahmanischer Regel: Immer dahin gehen, wo die Angst ist. - auch ganz professionell betrachtet, in Bezug auf „lessons learned“, „after action reviews“ etc. Davon, immer genau dahinzugehen, wo etwas nicht funktioniert hat, wo Irritationen sind, profitiere ich sehr.
Und als ich 5 Jahre im Büro von Nelson Mandela gearbeitet habe, habe ich von dem natürlich auch etwas gelernt.
Besten Dank, Herr Röhl.
Heiko Röhls Profil ist zeitgemäß komplex. Er ist promovierter Soziologe, Psychologe, Buchautor, Dozent und leitender Redakteur der „Zeitschrift für Organisationsentwicklung“. Er ist Experte für das Themenfeld Organisationales Lernen/Wissensorganisation/Strategiearbeit, hat die Nelson-Mandela-Stiftung aufgebaut und ist seit 2008 „Leiter Organisation“ bei der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ).
heiko.roehl@gtz.de
Ein Gespräch mit Lisa Magel, Geschwisterkind
Du hast acht Geschwister.
Ja, Paul, Pamela, Julie, James, Thomas, Erin, Michael, Nicholas. Der jüngste ist 28 und der älteste dürfte um die 46 sein. Die ersten vier Kinder sind alle ein Jahr auseinander, dann 20 Monate, 20 Monate, ein Jahr, dann vier, zuletzt fünf Jahre. Ich bin Kind Nummer fünf, direkt in der Mitte.
Wie sah denn ein Familienfrühstück bei euch früher aus? Ihr wart zu elft?
Zu zehnt. Mein Vater war Arzt, also fast nie zu Hause. Entweder war das Frühstücksmotto bei uns: komplette Selbstversorgung. Oder meine Mutter hat Cornflakes und Müsli serviert oder – als wir noch kleiner waren – etwas Warmes für uns gemacht: Eier, Speck, kleine Pfannkuchen, Toast, Haferbrei. Es war immer chaotisch morgens, immer ein Kommen und Gehen, weil die älteren Kinder früh in die Schule mussten. Es war nie so, dass wir uns gemeinsam zum Frühstück hingesetzt haben und gemeinsam aufgestanden sind. Das war eher eine Art Familienkantine. Und es war immer laut.
Wie war das Verreisen? Hatten deine Eltern einen Omnibus?
Damals gab es ja keine strengen Kindersitzvorschriften wie heute. Mein Vater hatte immer einen ziemlich großen Kombi, vorne saßen die Eltern und ein Kind, in der Mitte waren immer mindesten vier Kinder und in der hintersten, aufklappbaren Sitzreihe der Rest. Da wir nicht angeschnallt sein mussten, hingen wir natürlich zum Teil übereinander.
Und eure Reiseziele?
Einmal ging es mit dem Campingwagen nach New Mexico. Ansonsten haben wir uns öfter nach New Hampshire aufgemacht, vier Stunden Autofahrt. Da blieben wir dann für zwei Wochen in einem Haus zur Miete. Oder wir sind nach Vermont gefahren, in eine Art Ferienhausanlage mit Tennisplatz, Swimmingpool etc. Im Urlaub selbst war es immer sehr spannend. Vor allem, weil wir kaum beaufsichtigt wurden. Wir waren ziemlich frei.
Was ist gut daran, viele Geschwister zu haben?
Es ist immer jemand da, der dir helfen kann oder dem geholfen werden muss: bei Hausaufgaben oder beim Schlittschuhzubinden. Und es ist immer etwas Spannendes im Gang. Wir haben zum Beispiel Holzhütten im Wald hinterm Haus gebaut. Andererseits war ich mit zehn oder elf Jahren auch schon so etwas wie die Mutter für die beiden Kleinsten. Ich bin in der Nacht aufgestanden und hab sie gefüttert. Heute – als Erwachsene – erkennen wir, dass wir uns als Kinder auch gegenseitig erzogen haben.
Kannst du dir vorstellen, heute mit all deinen Geschwistern in einem Haus zu wohnen?
Auf gar keinen Fall. Das würde mich wahnsinnig machen. Wir sind als Erwachsene weit auseinander gegangen – und das war notwendig, damit wir alle unsere Ichs entwickeln können. Lustigerweise scheinen heute die am glücklichsten zu sein, die am weitesten von „zu Hause“ weg wohnen. Wir Geschwister genießen uns, wenn wir uns jetzt mal wieder treffen. Aber noch mal zusammen leben? Nee.
Gab’s innerhalb der großen Geschwistergruppe kleine Gruppen?
Immer wieder neue, altersabhängig. Meine zweitälteste Schwester spielte viel mit uns, als wir klein waren. Irgendwann gab es dann aber den Teenagerbruch (da war ich zehn und sie 13), und ab da habe ich mich dann den Kleinen zugewendet. Auch jetzt, als Erwachsene, bilden sich immer wieder neue Gruppen. Besonders spannend daran ist ja: Als Erwachsene lernen wir Geschwister uns als Menschen noch mal neu kennen. Ich habe einen Bruder und keine Ahnung, wer er wirklich ist, wie er tickt. Ich habe ihn eigentlich nur als Kind in meinem Kopf. Ich weiß nicht, was er tut, wie er als Vater oder als Mann ist. Er ist mir fremder als manche Freunde.
Das lustigste Geschwisterereignis?
Sehr lustig war und ist auch heute immer noch Thanksgiving. Das ist ein genialer Feiertag, weil es nur ums Essen und nicht um Geschenke geht. Da ist keine Eifersucht im Spiel, es ist einfach ein schönes Zusammenkommen. Wir sind dann immer mindestens elf, mit Verwandten oft 15 bis 20 Leute an einer langen Tafel. Einige meiner Geschwister sind superlustig, perfekte Stimmenimitatoren. Wenn die zusammenkommen und gut drauf sind, dann ist das besser als Fernsehen und Theater zusammen.
Würdest du sagen: Ich hatte eine glückliche Kindheit?
Ich empfinde meine Kindheit als toll und etwas ganz Besonderes. Aber mit Abstand muss ich auch sagen: Ich hätte an manchen Tagen gern etwas weniger Geschwister und etwas mehr Begleitung von meinen Eltern gehabt. Wir mussten viel alleine regeln, mussten sehr „Montessori sein“ (ohne, dass uns jemand gesagt hätte, was das ist).
Wer ist der interessanteste deiner Geschwister?
Für meinen jüngsten Bruder habe ich eine große Vorliebe, er ist 28, schwul, Schauspieler und lebt in New York City zurzeit ein sehr spannendes Leben. Aber ich könnte trotzdem nicht sagen, dass er interessanter ist als die anderen sieben.
Was fällt dir zu folgenden Begriffen ein?
Wut
Wut habe ich zum ersten Mal mit Mitte 20 richtig gespürt. Da habe ich ein Jahr lang nicht mit meinen Eltern gesprochen. Ich war so wütend auf sie, weil ich gespürt habe, dass ich sie immer in Schutz genommen habe. Sie machen ja nur ihr Bestes, es sind ja auch so viele Kinder, es ist ja auch viel Stress etc. Ich war auch so wütend, weil ich als Kind einiges entbehren musste, nur weil meine Eltern nicht verhütet haben. Jetzt habe ich keine Wut mehr gegenüber meinen Eltern. Auch nicht meinen Geschwistern gegenüber.
Ruhe
Es gab keine Ruhe. Ich hab zum ersten Mal allein gelebt, als ich 25 war. Erst da hab ich verstanden, was Ruhe ist. Als Kind hatte ich keine Rückzugsm.glichkeit im Haus. Ich musste mich mit Buch und Taschenlampe unters Bett verziehen. Oder ich bin raus und versteckte mich in unserer kleinen Holzhütte. Wir neun kommen auch jetzt als Erwachsene nicht komplett voneinander los, brauchen aber alle viel Ruhe, weil wir die als Kinder nie hatten. Das Natürlichste für mich ist Chaos, Lärm, Action, aber es ist nicht gut für mich. Das, was ich kenne, ist nicht das, was ich mag.
Gutenachtgeschichte
Wir haben eher nachmittags Geschichten gelesen. Abends ging es eher um Gebete. Meine Eltern waren sehr katholisch, es gab sozusagen Gebetpflicht. Meine Mutter hat mit jedem von uns das Abendgebet gesprochen. Bis zum Teenageralter.
Dein Lieblingsgebet?
Angel of God
My guardian dear
To whom God’s love commits me here
Ever this day
Be at my side
To light and guard
To rule and guide.
Das hab ich behalten. Da ist ein kleiner Engel, der uns hilft.
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