Psycho mit beschränkter Haftung
Gleichgültigkeit gegenüber den Gefühlen anderer. Eine Unfähigkeit, dauerhafte Beziehungen einzugehen. Die skrupellose Gefährdung dritter. Kein Schuldbewusstsein. U.a. das macht einen echten Psychopathen aus. Und einen erfolgreichen Konzern? Der nicht ganz neue, dafür sehr aktuelle Film „The Corporation“ sagt ja.
„The Corporation“ ist eine Ökonomie-Geschichtsdoppelstunde mit massiver Haltungs-Kritik. Er wurde auf diversen Festivals als beste Doku ausgezeichnet und als „provoking, witty, stylish and sweepingly informative“ hoch gelobt.
Es geht im Film um Wesen, Entwicklung, Auswirkungen und Zukunftsperspektiven der heute allgegenwärtigen Konzerne; um ein Grundparadoxon, das lautet: Konzerne erwirtschaften immense Reichtümer, richten gleichzeitig aber auch enorme, oft versteckte Schäden an. Zunächst aber stellt der Film – pseudoharmlos – die Frage: Was ist überhaupt ein Konzern?
Heute hat er offiziell ein oberstes Ziel: substanzielle, wahre, legale Erträge für die Firmeneigner zu erwirtschaften. Ursprünglich (im 18. Jh., als „Konzerne“ in Amerika entstanden) war das etwas anders: Konzerne hatten strenge Auflagen: alles, was sie taten oder produzierten, wurde urkundlich festgehalten, sie konnten keine anderen Konzerne besitzen, die Anteilseigner hafteten usw. Ein Konzern war ursprünglich also eine dem Staat untergeordnete Institution, die dem Gemeinwohl zu dienen hat. Klingt heute fast lustig. Dann aber (Mitte des 18.Jh.) setzten findige Anwälte mehr Rechte, Freizügigkeit und Macht für Konzerne durch. Sie beriefen sich dabei auf den 14. Zusatzartikel der Verfassung der USA: „Kein Staat darf einer Person ohne ordentliches Gerichtsverfahren Leben, Freiheit oder Eigentum nehmen.“ Ursprünglich ein den Schwarzen zugebilligtes Recht, zum Schutz gerade befreiter Sklaven nach dem Bürgerkrieg, pervertierten die Juristen diesen Zusatzartikel, indem sie aus Konzernen eine Gemeinschaft von Personen (Gesellschaft) bzw. eine diese Personen vertretende Institution mit eigener Rechtspersönlichkeit machten. Ein Konzern war also auf einmal eine „juristische Person“. Allerdings eine mit beschränkter Haftung, ohne Moral, ohne Gewissen, nur den Aktionären verpflichtet, nicht „der Gesellschaft“. Ein Psychopath.
Es erscheint: der Nachhaltigkeitsapostel
Zur Stützung dieser These kommen ins Bild und zu Wort: alerte CEOs (u.a. von Goodyear und Shell), smarte Denkfabrikchefs, beschränkte Broker boys, unbeugsame Investigativjournalisten und Vorzeigedenker wie Noam Chomsky, Prof. für Linguistik & Philosophie am MIT; Ira Jackson aus Harvard; Jeremy Rifkin, Soziologe, Ökonom, und Gründer der Foundation on Economic Trends; der Nobelpreisträger, Mikro- und Makroökonom Milton Friedman, sowie linke Aktivisten wie Naomi Klein und Michael Moore. In den Mittelpunkt rückt allerdings (obwohl filmminutenmäßig eher eine Randfigur) ein Konzernchef als Psychopath-Gegenentwurf: Ray Anderson von Interface, dem größten Teppichproduzenten der Welt. Anderson erzählt u.a. davon, wie er 1994, bei der Lektüre des Buchs „The Ecology of Commerce“ von Paul Hawken, eine Art Epiphanie hat: „Die industrielle Revolution war ein Irrweg. Denn es gibt heute keinen einzigen Industriekonzern, der umweltverträglich produziert.“ Anderson hat nicht nur diese Erkenntnis, sondern auch Angst davor, irgendwann „als plunderer of the earth“ im Gefängnis zu landen, wenn er sein Unternehmen so (unverantwortlich) weiter führt. Er mahnt: Wir müssen eine neue industrielle Revolution einläuten. Und er hat auch die Vision zur Mahnung: den Zusammenschluss von Menschen, die sich für eine spektakulär unspektakuläre Sache engagieren: der Erde keinen Schaden zufügen!
Der Charles-Manson-Faktor
Nachdem die Grundthese scharf und klar ist und man sich ein bisschen in Ray Anderson verguckt hat, betrachtet der Film Konzerne wie ein Psychiater seine Patienten. Es folgen best cases für psychopathisches Konzern-Verhalten. Stories, so bizarr, widernatürlich, unsozial, unmenschlich, dass sie den Betrachter entweder in eine Depression stürzen oder Lust auf Protest/Aktion machen. Da sind zum Beispiel diese 3 Cases:
Die Quengelstudie: Ein interessantes Beispiel für die Manipulation von Kindern durch Werbung/Marketing. Die Quengelstudie wird nicht etwa als Hilfe für überforderte Eltern, sondern für Unternehmen in Auftrag gegeben und fragt danach: Wie bringt man Kinder dazu, noch effektiver für Produkte (Videos, Fast Food, Vergnügungsparks) zu quengeln? Es geht also um Marketing, das sich die sensible Geistentwicklungsphase von Kindern zunutze macht. Von einem 12 Milliarden Dollar Marketing-Budget ist die Rede, das eingesetzt wird, um kleine Kinder zu manipulieren und sie so früh wie möglich zu nervigen, hartnäckigen Konsumenten zu machen.
Das Leben als Handelsware: General Electric und Prof. Ananda Mohan Chakrabarty melden eine (genetisch veränderte) Ölschlamm fressende Mikrobe als Patent an. Dadurch wird (theoretisch) möglich: Alles Lebende kann patentiert werden. Die Folge: Es beginnt ein Abgrasen der Erde nach Gen-Material. Jedes Gen, das Firmen finden und isolieren, sehen sie als ihr geistiges Eigentum an: das Brustkrebsgen, das Mukoviszidosegen etc... Die (gar nicht mal so unrealistische) Horrorvision lautet: Eine Handvoll multinationaler Konzerne besitzt direkt oder per Lizenz die Gene, die zur Entwicklung unserer Spezies geführt haben. Das heißt: Das Leben ist auch nur eine Handelsware.
Der Privatregen: 2025 werden 70% der Weltbevölkerung keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben. Weltweit hat der Kampf um die Kontrolle der lebenswichtigen Ressource begonnen. Als Bolivien die Wasserversorgung seiner drittgrößten Stadt refinanzieren will, besteht der Kreditgeber Weltbank auf Privatisierung. Und so besitzt der US-Konzern Bechtel bald sämtliches Wasser in Cochabamba. Sogar das, was vom Himmel fällt.
Unangenehme Fragen stellen: ist das alles?
„The Corporation“ stellt unbequeme Fragen über den Umgang mit guten Gütern wie Information und Wasser; über die Vereinnahmung des öffentlichen Raums (z.B. durch Werbung, Branding), über die Kommerzialisierung von Beziehungen; über pervertierte wissenschaftliche Forschung (angetrieben durch Profitstreben). Und er zeigt unangenehm deutlich, was Konzerne für Schäden anrichten: an Menschen z.B. durch Löhne, die 0,3% des Produkt-Verkaufspreises ausmachen, 13jährige Näherinnen, unmenschlichen Arbeitstakt etc.; an der Umwelt durch Zerstörung von Lebensräumen, Massentierhaltung etc.; an der Biosphäre durch Kahlschläge, gigantische CO2-Emissionen und Atommüll... Ist das also ein linker Anpranger-Film? Was ist mit einem möglichen Heilungsprozess, spielt der filmisch eine Rolle?
Therapeutische Maßnahmen
The Corporation belässt es nicht beim Mäkeln und süffisanten Anprangern, sondern ruft am Ende ziemlich deutlich dazu auf, aktiv zu werden, Initiativen loszutreten oder sich ihnen anzuschließen. Der Film flüstert ein (über eine Erzählerstimme, die extrem weiblich, loreleymäßig suggestiv ist und gewissermaßen geil machen soll auf Protest): Starte Kampagnen (lass z.B. Kinderarbeiterinnen vor dem US-Kongress über Arbeitsbedingungen bei Walmart aussagen). Achte auf die Rechtsgebilde (Sie sind nicht in Stein gemeißelt, können demontiert werden). Missachte ungesetzliche Gesetze. Erzähl die besseren Geschichten. Bilde Koalitionen.
Dieser Film ist gar kein Film
„The Corporation“ ist Teil einer politischen Bewegung, Instrument zur Aktivisten-Aktivierung. Das merkt man spätestens, wenn man sich auf die Website zum Film begibt. Auf www.thecorporation.comangeschlossen ist die „campaign 4 corporate harm reduction“. Man findet unter anderem „Transcripts and Extras“: den ganzen Film in informativen Drehbuchhäppchen; unter dem Punkt „Education“ eine Dokumentation, wie man den Film an Schulen einsetzt. Und eine lange Liste von Links zu anderen grundguten, revolutionären oder nachhaltigen Organisationen, Institutionen, Aktionen, Personen, Websites, Büchern. „The Corporation“ will eine „community“ sein bzw. aufbauen: und zwar eine, „ready to rethink the Corporate Form“.
Dabei hilft für den Einstieg, dem Nachhaltigkeitsapostel Ray Anderson genau zuzuhören, wenn er davon berichtet, wie man den Berg der Nachhaltigkeit erklimmt. Wie man Systeme schafft, die der Erde und den Menschen dienen.
Nur Psychopathen können das naiv finden.
Filmbesprechung für ZOE, Zeitschrift für Organisationsentwicklung
Psycho mit beschränkter Haftung
Gleichgültigkeit gegenüber den Gefühlen anderer. Eine Unfähigkeit, dauerhafte Beziehungen einzugehen. Die skrupellose Gefährdung dritter. Kein Schuldbewusstsein. U.a. das macht einen echten Psychopathen aus. Und einen erfolgreichen Konzern? Der nicht ganz neue, dafür sehr aktuelle Film „The Corporation“ sagt ja.
„The Corporation“ ist eine Ökonomie-Geschichtsdoppelstunde mit massiver Haltungs-Kritik. Er wurde auf diversen Festivals als beste Doku ausgezeichnet und als „provoking, witty, stylish and sweepingly informative“ hoch gelobt.
Es geht im Film um Wesen, Entwicklung, Auswirkungen und Zukunftsperspektiven der heute allgegenwärtigen Konzerne; um ein Grundparadoxon, das lautet: Konzerne erwirtschaften immense Reichtümer, richten gleichzeitig aber auch enorme, oft versteckte Schäden an. Zunächst aber stellt der Film – pseudoharmlos – die Frage: Was ist überhaupt ein Konzern?
Heute hat er offiziell ein oberstes Ziel: substanzielle, wahre, legale Erträge für die Firmeneigner zu erwirtschaften. Ursprünglich (im 18. Jh., als „Konzerne“ in Amerika entstanden) war das etwas anders: Konzerne hatten strenge Auflagen: alles, was sie taten oder produzierten, wurde urkundlich festgehalten, sie konnten keine anderen Konzerne besitzen, die Anteilseigner hafteten usw. Ein Konzern war ursprünglich also eine dem Staat untergeordnete Institution, die dem Gemeinwohl zu dienen hat. Klingt heute fast lustig. Dann aber (Mitte des 18.Jh.) setzten findige Anwälte mehr Rechte, Freizügigkeit und Macht für Konzerne durch. Sie beriefen sich dabei auf den 14. Zusatzartikel der Verfassung der USA: „Kein Staat darf einer Person ohne ordentliches Gerichtsverfahren Leben, Freiheit oder Eigentum nehmen.“ Ursprünglich ein den Schwarzen zugebilligtes Recht, zum Schutz gerade befreiter Sklaven nach dem Bürgerkrieg, pervertierten die Juristen diesen Zusatzartikel, indem sie aus Konzernen eine Gemeinschaft von Personen (Gesellschaft) bzw. eine diese Personen vertretende Institution mit eigener Rechtspersönlichkeit machten. Ein Konzern war also auf einmal eine „juristische Person“. Allerdings eine mit beschränkter Haftung, ohne Moral, ohne Gewissen, nur den Aktionären verpflichtet, nicht „der Gesellschaft“. Ein Psychopath.
Es erscheint: der Nachhaltigkeitsapostel
Zur Stützung dieser These kommen ins Bild und zu Wort: alerte CEOs (u.a. von Goodyear und Shell), smarte Denkfabrikchefs, beschränkte Broker boys, unbeugsame Investigativjournalisten und Vorzeigedenker wie Noam Chomsky, Prof. für Linguistik & Philosophie am MIT; Ira Jackson aus Harvard; Jeremy Rifkin, Soziologe, Ökonom, und Gründer der Foundation on Economic Trends; der Nobelpreisträger, Mikro- und Makroökonom Milton Friedman, sowie linke Aktivisten wie Naomi Klein und Michael Moore. In den Mittelpunkt rückt allerdings (obwohl filmminutenmäßig eher eine Randfigur) ein Konzernchef als Psychopath-Gegenentwurf: Ray Anderson von Interface, dem größten Teppichproduzenten der Welt. Anderson erzählt u.a. davon, wie er 1994, bei der Lektüre des Buchs „The Ecology of Commerce“ von Paul Hawken, eine Art Epiphanie hat: „Die industrielle Revolution war ein Irrweg. Denn es gibt heute keinen einzigen Industriekonzern, der umweltverträglich produziert.“ Anderson hat nicht nur diese Erkenntnis, sondern auch Angst davor, irgendwann „als plunderer of the earth“ im Gefängnis zu landen, wenn er sein Unternehmen so (unverantwortlich) weiter führt. Er mahnt: Wir müssen eine neue industrielle Revolution einläuten. Und er hat auch die Vision zur Mahnung: den Zusammenschluss von Menschen, die sich für eine spektakulär unspektakuläre Sache engagieren: der Erde keinen Schaden zufügen!
Der Charles-Manson-Faktor
Nachdem die Grundthese scharf und klar ist und man sich ein bisschen in Ray Anderson verguckt hat, betrachtet der Film Konzerne wie ein Psychiater seine Patienten. Es folgen best cases für psychopathisches Konzern-Verhalten. Stories, so bizarr, widernatürlich, unsozial, unmenschlich, dass sie den Betrachter entweder in eine Depression stürzen oder Lust auf Protest/Aktion machen. Da sind zum Beispiel diese 3 Cases:
Die Quengelstudie: Ein interessantes Beispiel für die Manipulation von Kindern durch Werbung/Marketing. Die Quengelstudie wird nicht etwa als Hilfe für überforderte Eltern, sondern für Unternehmen in Auftrag gegeben und fragt danach: Wie bringt man Kinder dazu, noch effektiver für Produkte (Videos, Fast Food, Vergnügungsparks) zu quengeln? Es geht also um Marketing, das sich die sensible Geistentwicklungsphase von Kindern zunutze macht. Von einem 12 Milliarden Dollar Marketing-Budget ist die Rede, das eingesetzt wird, um kleine Kinder zu manipulieren und sie so früh wie möglich zu nervigen, hartnäckigen Konsumenten zu machen.
Das Leben als Handelsware: General Electric und Prof. Ananda Mohan Chakrabarty melden eine (genetisch veränderte) Ölschlamm fressende Mikrobe als Patent an. Dadurch wird (theoretisch) möglich: Alles Lebende kann patentiert werden. Die Folge: Es beginnt ein Abgrasen der Erde nach Gen-Material. Jedes Gen, das Firmen finden und isolieren, sehen sie als ihr geistiges Eigentum an: das Brustkrebsgen, das Mukoviszidosegen etc... Die (gar nicht mal so unrealistische) Horrorvision lautet: Eine Handvoll multinationaler Konzerne besitzt direkt oder per Lizenz die Gene, die zur Entwicklung unserer Spezies geführt haben. Das heißt: Das Leben ist auch nur eine Handelsware.
Der Privatregen: 2025 werden 70% der Weltbevölkerung keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben. Weltweit hat der Kampf um die Kontrolle der lebenswichtigen Ressource begonnen. Als Bolivien die Wasserversorgung seiner drittgrößten Stadt refinanzieren will, besteht der Kreditgeber Weltbank auf Privatisierung. Und so besitzt der US-Konzern Bechtel bald sämtliches Wasser in Cochabamba. Sogar das, was vom Himmel fällt.
Unangenehme Fragen stellen: ist das alles?
„The Corporation“ stellt unbequeme Fragen über den Umgang mit guten Gütern wie Information und Wasser; über die Vereinnahmung des öffentlichen Raums (z.B. durch Werbung, Branding), über die Kommerzialisierung von Beziehungen; über pervertierte wissenschaftliche Forschung (angetrieben durch Profitstreben). Und er zeigt unangenehm deutlich, was Konzerne für Schäden anrichten: an Menschen z.B. durch Löhne, die 0,3% des Produkt-Verkaufspreises ausmachen, 13jährige Näherinnen, unmenschlichen Arbeitstakt etc.; an der Umwelt durch Zerstörung von Lebensräumen, Massentierhaltung etc.; an der Biosphäre durch Kahlschläge, gigantische CO2-Emissionen und Atommüll... Ist das also ein linker Anpranger-Film? Was ist mit einem möglichen Heilungsprozess, spielt der filmisch eine Rolle?
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Kröger Schulz Gesellschaft bürgerlichen Rechts für Konzept, Redaktion, Text | Breibergstraße 13 | 50939 Köln | Tel. 0221-2580802 | mail(at)kroeger-schulz.de | Vertretungsberechtigte Gesellschafter: Michael Kröger und Heiko Schulz | USt.-Identifikationsnummer gem. § 27a UStG: DE 257476980
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