INTERVIEWFür side step, „Besser scheitern“
Das „Le Moissonier“ in Köln: ein 2 Sterne-Bistro mit einem akribisch-experimentellen Chefkoch und viel angenehm unangestrengter Atmosphäre. Neulich wurde es vom „Feinschmecker“ zum Restaurant“ des Jahres gekürt. Der Gastronom und Unternehmer Vincent Moissonier ist ziemlich erfolgreich - und extrem entspannt. Ein Gespräch über katastrophale Anfängerfehler, dezente Präsenz und Erbsen mit Schinken.
Wie fühlt sich „großer“ Erfolg an?
Wir empfinden es für uns als großartigen Moment, dass wir so viel Glück haben und alles so gut läuft. Es gibt großartige Kollegen, die seit 30, 35 Jahren am Werk sind und nicht mal ein Drittel unserer Medienpräsenz bekommen. Leider.
Vielleicht haben die ein Konzept, das irgendwann fad wird.
Nicht von der Arbeit, von der Substanz her. Die kochen weiterhin Weltklasse. Aber es kommt natürlich auch drauf an, wie man das Gesamtwerk präsentiert und „verkauft“. Ein Restaurant besteht nun mal nicht nur aus seiner Küche, nicht nur aus einem Spitzenkoch. Ein Restaurant besteht aus einer Mannschaft, einem Ambiente, den Gästen, einem Gefühl des Zusammenseins.
Das „Le Moissonnier“ gibt es seit 25 Jahren. Können Sie sich noch erinnern, wie es am Anfang war?
Katastrophal. Ich hätte freiwillig hier drin nicht gegessen. Also das war grausam. Keine Erfahrung, kein Geld, wir waren am ersten Tag schon pleite. Wir hatten gar nichts. Wir hatten in der Küche einen Holztisch, einen Haushaltskühlschrank, einen wackeligen Herd. Eine Abzugshaube, die nicht funktionierte. Und sehr, sehr willige und nette Beamte der Stadt Köln, die immer ein Auge zugedrückt haben. Wir haben in den ersten drei Monaten mit einem französischen Koch angefangen, der jeden Tag betrunken war. Wir hatten auch sehr wenig zu tun. Dann ist nach sechs Monaten Eric Menchon als Chefkoch dazu gekommen. Und von da an haben wir uns langsam entwickelt.
Sie haben Anfängerfehler gemacht ...
Als wir aufgemacht haben, da war ich 27. Ich hatte außer vielen Fehlern wenig davor gemacht. Und am Anfang bist du sehr impulsiv allem gegenüber. Jeden Fehler empfindest du als katastrophal grausam, versuchst nicht daraus etwas zu lernen, sondern du versuchst ihn zu verstecken, zu verdecken und zu erdrücken. Je älter du wirst, desto besonnener und ruhiger wirst du. Du versuchst den Menschen zu verstehen, der dir gegenübersteht. Als 27jähriger verstehst du keinen Menschen, sondern du sagst einfach, es ist so, wie ich sage, ihr anderen haltet den Mund, weiter geht‘s. Das sind Fehler, die am Anfang wohl dazu gehören.
Ihr Chefkoch Eric Menchon scheint kaum noch Fehler zu machen. Sie sagen sogar: Er wird immer besser, auch nach 25 Jahren. Woran sehen Sie das? Wie macht er das?
An der Einfachheit seiner Arbeit; daran, wie er Gerichte entwickelt. Mit so einer Leichtigkeit, ohne sich viele große Gedanken zu machen. Es gibt so viele Nebensachen bei unseren Gerichten, aber es macht alles Sinn. Wir sind wesentlich klarer geworden. Und Eric ist immer noch nicht am Ende seiner Kapazitäten. Er ist wirklich noch entfernt von seinem Zenith, davon bin ich überzeugt.
Ein neues Gericht soll auf die Karte. Wie entsteht das? Wer greift ein? Wer probiert? Wer entscheidet?
Wir entwickeln die Rezepte immer in zwei unterschiedlichen Abteilungen. Eric kümmert sich um die gesamten Hauptgänge und Desserts. Und ich kümmere mich um die gesamten Vorspeisen, gemeinsam mit unserem Sous-Chef. Ein Gericht braucht normalerweise drei bis sechs Wochen, bis es so ist, wie wir es haben wollen. Derjenige, der an etwas Neuem arbeitet, braucht Zeit, weil wir das nebenbei machen. An den Tagen, wo wir ein bisschen mehr Ruhe haben.
Also: Wir probieren getrennt voneinander, wir entwickeln, und wenn wir bei den Vorspeisen, Hauptgängen oder Desserts der Meinung sind, es ist präsentierbar, es ist probierbar, dann wird es angerichtet und wir probieren. Wir sind dabei immer zu dritt. Und dann sagen wir uns, was wir nicht hören möchten: lauwarm, zu kalt, zu warm, zu bissfest, man kaut zu lang drauf, man spürt zu sehr Kardamom oder zu wenig Pfeffer. Oder: Ich verstehe den Sinn dieser Beilage nicht. Also wir schämen uns nicht, uns richtig die Meinung zu sagen. Dafür kennen wir uns einfach zu gut. Meist arbeiten wir dann noch eine Woche daran und versuchen das Ganze fein auszutüfteln und fertig zu machen. Erst wenn wir drei der Meinung sind, es passt, dann kommt es auf die Karte.
Es gibt also eine interne Expertenkommission mit unterschiedlichen Geschmäckern. Und sie scheitern sich dann hoch zum gelungenen Ergebnis ...
Genau.
So ein Spitzen-Restaurant ist ein sehr stressiges Gebilde. Trotzdem brauchen Sie Räume und Zeiten, in denen Sie, Eric Menchon und der Sous-Chef Neues probieren, frei experimentieren können...
Diese Zeiten nimmt sich jeder auf seine Art. Also ich kann Ihnen garantieren, dass Eric zum Beispiel sonntags und montags (Anm. der Red: Das sind die Ruhetage) mit diesem Restaurant, mit Küche, Entwicklung, Experimenten, nichts am Hut hat. Ich bin etwas anders, ich bin an den Ruhetagen öfter im Büro, lese meine Bücher, schreibe kleine Sätze über Sachen, die ich von der Kombination her gut finde, und sammle das. Eric ist jemand, der nach der Arbeit, während der Arbeit, eigentlich dauernd mit Entwicklung beschäftigt ist, nur nicht an den Ruhetagen. Er tüftelt und probiert unglaublich viel. Er ist seit drei Wochen mit einer speziellen Art von Blätterteig beschäftigt. Er will eine gewisse luftige Masse erreichen.
Von wem lassen Sie sich eigentlich sagen, dass irgendwas gelungen oder misslungen ist?
Ich lasse mir das von jedem sagen. Wirklich. Es ist mir zum Beispiel sehr wichtig, dass jeder Gast seine Meinung äußert. Am wichtigsten für mich aber ist, dass es Menschen gibt, die konstruktive Kritik äußern können, ob unter Gästen, Kollegen oder Gastro-Kritikern. Sie sagen dann zum Beispiel: Moissonnier, das hier muss nicht sein. Oder: Das ist einfach zu viel. Und dann mache ich mir Gedanken darüber und muss oft zustimmen: Da ist was dran, das müssen wir verbessern.
Aber wenn z.B. ein Kritiker sich so äußert: Was wir da gegessen haben, war miserabel – da blocke ich ab und sage: Miserabel geht bei uns gar nichts raus. Das ist nicht wahr. Und so bin ich auch mit Gästen, die hier aggressiv werden. Da versuche ich erst mal, zuzuhören. Aber wenn ich sehe, da steigert sich einer rein und ist nicht zu beruhigen, dann mache ich einen Schnitt und sage: Passen Sie mal auf, Sie haben sich vertan. Das ist einfach nicht das Restaurant, das Sie brauchen.
Kann man als Gast im „Le Moissonier“ scheitern?
Eigentlich nicht. Obwohl: Jetzt fällt mir eine Szene ein, die vor ein paar Wochen passiert ist. Da haben sehr nette Leute an einem Tisch ein Menü gegessen. Und nach dem Essen hat einer von ihnen seine Stoffserviette genommen, sich den Mund abgeputzt und die Serviette auf den leeren Teller mit Besteck gelegt, so wie man es mit einer Papierserviette macht, wenn man Pizza gegessen hat. Ich habe das beim Abräumen gesehen und kann von meiner Erziehung her nicht anders als die Serviette nehmen und beiseite tun. Der Gast guckte mich an und sagte: Oh, jetzt habe ich mich wohl total daneben benommen. Ich sage, nein, haben Sie nicht, aber das gehört nicht auf den Teller. Und seine drei Leute am Tisch haben sich kaputt gelacht.
Scheitern würde ich das nicht unbedingt nennen. Nein. Es wurde ja gelacht.
Ihre „wohlunterrichteten“ Servicekräfte geben den Gästen eigentlich immer ein gutes Gefühl. Sie erklären charmant, was sich auf den Tellern abspielt. Und das ist eine Menge. Auch der Wissenshungrigste kann unmöglich alles verstehen, alles behalten, was ihm erklärt wird, höchstens Kleinigkeiten...
Ist doch gut so. Es ist und bleibt nur Essen, das darf man nicht vergessen. Es ist so anstrengend, wenn man Gäste hat, die total steif und unkommunikativ sind. Wir wollen ja eine begeisterte Stimmung erzeugen, indem wir den Gästen das Gefühl geben: Entspannt euch doch ein bisschen.
Letzte Frage: Was haben Sie als Kind am liebsten gegessen?
Erbsen mit Schinken. Ich bin in Afrika groß geworden, in Obervolta – jetzt Burkina Faso. Da gab es ein Restaurant von der katholischen Kirche geleitet, und eine Karte mit drei Gerichten. Eins dieser Gerichte war: Erbsen aus der Dose, süß, mit Schinken, salzig. Das war für mich das Größte.
Ein Gespräch mit Lisa Magel, Geschwisterkind
Du hast acht Geschwister.
Ja, Paul, Pamela, Julie, James, Thomas, Erin, Michael, Nicholas. Der jüngste ist 28 und der älteste dürfte um die 46 sein. Die ersten vier Kinder sind alle ein Jahr auseinander, dann 20 Monate, 20 Monate, ein Jahr, dann vier, zuletzt fünf Jahre. Ich bin Kind Nummer fünf, direkt in der Mitte.
Wie sah denn ein Familienfrühstück bei euch früher aus? Ihr wart zu elft?
Zu zehnt. Mein Vater war Arzt, also fast nie zu Hause. Entweder war das Frühstücksmotto bei uns: komplette Selbstversorgung. Oder meine Mutter hat Cornflakes und Müsli serviert oder – als wir noch kleiner waren – etwas Warmes für uns gemacht: Eier, Speck, kleine Pfannkuchen, Toast, Haferbrei. Es war immer chaotisch morgens, immer ein Kommen und Gehen, weil die älteren Kinder früh in die Schule mussten. Es war nie so, dass wir uns gemeinsam zum Frühstück hingesetzt haben und gemeinsam aufgestanden sind. Das war eher eine Art Familienkantine. Und es war immer laut.
Wie war das Verreisen? Hatten deine Eltern einen Omnibus?
Damals gab es ja keine strengen Kindersitzvorschriften wie heute. Mein Vater hatte immer einen ziemlich großen Kombi, vorne saßen die Eltern und ein Kind, in der Mitte waren immer mindesten vier Kinder und in der hintersten, aufklappbaren Sitzreihe der Rest. Da wir nicht angeschnallt sein mussten, hingen wir natürlich zum Teil übereinander.
Und eure Reiseziele?
Einmal ging es mit dem Campingwagen nach New Mexico. Ansonsten haben wir uns öfter nach New Hampshire aufgemacht, vier Stunden Autofahrt. Da blieben wir dann für zwei Wochen in einem Haus zur Miete. Oder wir sind nach Vermont gefahren, in eine Art Ferienhausanlage mit Tennisplatz, Swimmingpool etc. Im Urlaub selbst war es immer sehr spannend. Vor allem, weil wir kaum beaufsichtigt wurden. Wir waren ziemlich frei.
Was ist gut daran, viele Geschwister zu haben?
Es ist immer jemand da, der dir helfen kann oder dem geholfen werden muss: bei Hausaufgaben oder beim Schlittschuhzubinden. Und es ist immer etwas Spannendes im Gang. Wir haben zum Beispiel Holzhütten im Wald hinterm Haus gebaut. Andererseits war ich mit zehn oder elf Jahren auch schon so etwas wie die Mutter für die beiden Kleinsten. Ich bin in der Nacht aufgestanden und hab sie gefüttert. Heute – als Erwachsene – erkennen wir, dass wir uns als Kinder auch gegenseitig erzogen haben.
Kannst du dir vorstellen, heute mit all deinen Geschwistern in einem Haus zu wohnen?
Auf gar keinen Fall. Das würde mich wahnsinnig machen. Wir sind als Erwachsene weit auseinander gegangen – und das war notwendig, damit wir alle unsere Ichs entwickeln können. Lustigerweise scheinen heute die am glücklichsten zu sein, die am weitesten von „zu Hause“ weg wohnen. Wir Geschwister genießen uns, wenn wir uns jetzt mal wieder treffen. Aber noch mal zusammen leben? Nee.
Gab’s innerhalb der großen Geschwistergruppe kleine Gruppen?
Immer wieder neue, altersabhängig. Meine zweitälteste Schwester spielte viel mit uns, als wir klein waren. Irgendwann gab es dann aber den Teenagerbruch (da war ich zehn und sie 13), und ab da habe ich mich dann den Kleinen zugewendet. Auch jetzt, als Erwachsene, bilden sich immer wieder neue Gruppen. Besonders spannend daran ist ja: Als Erwachsene lernen wir Geschwister uns als Menschen noch mal neu kennen. Ich habe einen Bruder und keine Ahnung, wer er wirklich ist, wie er tickt. Ich habe ihn eigentlich nur als Kind in meinem Kopf. Ich weiß nicht, was er tut, wie er als Vater oder als Mann ist. Er ist mir fremder als manche Freunde.
Das lustigste Geschwisterereignis?
Sehr lustig war und ist auch heute immer noch Thanksgiving. Das ist ein genialer Feiertag, weil es nur ums Essen und nicht um Geschenke geht. Da ist keine Eifersucht im Spiel, es ist einfach ein schönes Zusammenkommen. Wir sind dann immer mindestens elf, mit Verwandten oft 15 bis 20 Leute an einer langen Tafel. Einige meiner Geschwister sind superlustig, perfekte Stimmenimitatoren. Wenn die zusammenkommen und gut drauf sind, dann ist das besser als Fernsehen und Theater zusammen.
Würdest du sagen: Ich hatte eine glückliche Kindheit?
Ich empfinde meine Kindheit als toll und etwas ganz Besonderes. Aber mit Abstand muss ich auch sagen: Ich hätte an manchen Tagen gern etwas weniger Geschwister und etwas mehr Begleitung von meinen Eltern gehabt. Wir mussten viel alleine regeln, mussten sehr „Montessori sein“ (ohne, dass uns jemand gesagt hätte, was das ist).
Wer ist der interessanteste deiner Geschwister?
Für meinen jüngsten Bruder habe ich eine große Vorliebe, er ist 28, schwul, Schauspieler und lebt in New York City zurzeit ein sehr spannendes Leben. Aber ich könnte trotzdem nicht sagen, dass er interessanter ist als die anderen sieben.
Was fällt dir zu folgenden Begriffen ein?
Wut
Wut habe ich zum ersten Mal mit Mitte 20 richtig gespürt. Da habe ich ein Jahr lang nicht mit meinen Eltern gesprochen. Ich war so wütend auf sie, weil ich gespürt habe, dass ich sie immer in Schutz genommen habe. Sie machen ja nur ihr Bestes, es sind ja auch so viele Kinder, es ist ja auch viel Stress etc. Ich war auch so wütend, weil ich als Kind einiges entbehren musste, nur weil meine Eltern nicht verhütet haben. Jetzt habe ich keine Wut mehr gegenüber meinen Eltern. Auch nicht meinen Geschwistern gegenüber.
Ruhe
Es gab keine Ruhe. Ich hab zum ersten Mal allein gelebt, als ich 25 war. Erst da hab ich verstanden, was Ruhe ist. Als Kind hatte ich keine Rückzugsm.glichkeit im Haus. Ich musste mich mit Buch und Taschenlampe unters Bett verziehen. Oder ich bin raus und versteckte mich in unserer kleinen Holzhütte. Wir neun kommen auch jetzt als Erwachsene nicht komplett voneinander los, brauchen aber alle viel Ruhe, weil wir die als Kinder nie hatten. Das Natürlichste für mich ist Chaos, Lärm, Action, aber es ist nicht gut für mich. Das, was ich kenne, ist nicht das, was ich mag.
Gutenachtgeschichte
Wir haben eher nachmittags Geschichten gelesen. Abends ging es eher um Gebete. Meine Eltern waren sehr katholisch, es gab sozusagen Gebetpflicht. Meine Mutter hat mit jedem von uns das Abendgebet gesprochen. Bis zum Teenageralter.
Dein Lieblingsgebet?
Angel of God
My guardian dear
To whom God’s love commits me here
Ever this day
Be at my side
To light and guard
To rule and guide.
Das hab ich behalten. Da ist ein kleiner Engel, der uns hilft.
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